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PRESSE: „Eine Mammutaufgabe“: MT-Interview zum Wechsel von G8 zu G9 an der Verbundschule Hille

Eintrag vom 27. Dezember 2022

An den meisten Gymnasien in Nordrhein Westfalen machen die Schülerinnen und Schüler, die derzeit die neunte Klasse besuchen, wieder nach 13 Jahren ihr Abitur. Der Jahrgang über ihnen ist schon nach zwölf Jahren fertig. Denn die meisten Gymnasien haben sich für G9 entschieden – also neun Jahre auf der weiterführenden Schule. Das hat weitreichende Konsequenzen, die Dirk Schubert, Schulleiter der Verbundschule Hille, und Oberstufenleiterin Karin Bußmann-Dörnhoff im Interview mit dem MT erklären.

Warum ist der Weg zum Abitur 2023 so besonders?

Bußmann-Dörnhoff: Das liegt an der Umstellung von G8 auf G9. Das heißt, die Gymnasialschüler bleiben in ganz NRW – bis auf die Schulen, die zuvor schon G9 hatten – in der Sekundarstufe 1 und besuchen dort ihre Klasse 10. Daher wird der nächste Oberstufenjahrgang ohne Gymnasialschüler gebildet.

Schubert: Das ist quasi die Gegenbewegung zum Doppeljahrgang, den wir vor ein paar Jahren hatten, als die Umstellung von G9 auf G8 war. Da hatten wir eine Dopplung, jetzt eine Lücke.

Also gibt es im nächsten Schuljahr keine Stufe 11 am Gymnasium?

Bußmann-Dörnhoff: Doch, bei uns wird es eine Stufe 11 geben, weil wir eine Verbundschule sind. Das heißt, wir haben zwei Schulformen, einmal das Gymnasium, einmal die Gesamtschule. Und viele Gesamtschüler gehen ja weiter, so dass wir natürlich eine Einführungsphase – so heißt der erste Jahrgang – anbieten werden. Der kann auch von allen anderen Schülern aus anderen Schulformen wie Sekundarschulen oder Realschulen mit Q-Vermerk besucht werden.

Ist das Angebot, aus dem die Schüler wählen können, so groß wie sonst, oder wird es abgespeckt?

Schubert: Es sind weniger Schüler, das ist klar, weil die Gymnasiasten fehlen. Aber wir hatten früher, als wir nur Gesamtschule waren, die gleiche Situation. Das heißt, das Angebot ist nicht so breit, aber trotzdem attraktiv. Zum Beispiel wird es Spanisch als neu einsetzende Fremdsprache geben, wir haben unsere Sprachzertifikate und ein breites Sportangebot. Und wir bieten selbstverständlich die Fächer an, die zum Abitur führen. Dazu sind wir verpflichtet. Natürlich gibt es mit weniger Schülern ein kleineres Angebot. Das ist aber an anderen Gymnasien auch der Fall.

Bußmann-Dörnhoff: Wir können natürlich noch nicht sagen, wie das Wahlverhalten der Schüler aussehen wird. Daran werden wir unser Angebot in jedem Fall angliedern. Wir sind uns ziemlich sicher, dass der Sport-Leistungskurs wieder gewählt wird. Ein kleinerer Jahrgang hat auch Vorteile. In der Oberstufe ist uns generell ein guter Betreuungsschlüssel wichtig. Wir haben daher immer mehr Jahrgangsstufenleiter als normalerweise üblich. Wir bilden in der Einführungsphase Klassen in Deutsch, Mathe, Englisch und Sport, damit die Schüler sich sukzessive an das Kurssystem gewöhnen können. Das wird durch einen kleineren Jahrgang noch einmal intensiviert. Es ist familiärer und trägt zum Wohlfühlcharakter einer Stufe bei, dass man sich untereinander kennt, einen engen kurzen Draht zu den Lehrern hat. Das ist eine Qualität, die man in einer großen Stufe so nicht hat.

Was passiert, wenn ein Schüler des letzten G8-Jahrgangs wiederholen muss? Wird der aufgefangen?

Bußmann-Dörnhoff: Ja klar. Wenn er zum Beispiel in der jetzigen Einführungsphase ist und die Versetzung nicht schafft, dann wird er wiederholen können – allerdings auf der Grundlage des Angebots, was es dann gibt. Aber in der Einführungsphase gibt es viele Fächer, die wir ohnehin anbieten müssen. Das Angebot wird vermutlich nicht groß unterschiedlich sein.

Zum Schuljahr 2019/2020 sind die meisten Gymnasien zu G9 zurückgekehrt. Die richtige Entscheidung?

Schubert: Es war der Elternwille. Und dem folgen wir. Politisch war das eine Hauruck-Aktion – sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Wir haben diese Entscheidung für uns diskutiert, denn es gab ja die Möglichkeit, bei G8 zu bleiben. Das haben wir mit den zukünftigen Schülergenerationen und deren Eltern besprochen. Dabei ist herausgekommen, dass in Hille ein G9-Gymnasium gewünscht ist. Da wären wir verrückt gewesen, etwas anderes zu tun. Wie sinnvoll das ist, ist schwierig zu beantworten. Natürlich entsteht mehr Freiraum am Nachmittag und die Schulzeit verlängert sich. Die Kinder sind älter, wenn sie das Abitur bekommen. Aber alles in allem hat G8 bei uns auch super funktioniert.

Würden Sie im Nachhinein G8 als Fehler betrachten?

Schubert: Es ist für uns nicht ganz einfach zu beantworten, weil wir unser Gymnasium von Anfang an als G8-Gymnasium aufgebaut haben. Wir haben also keinen Vergleich zum alten G9, für uns ist die Umstellung jetzt kein Zurück. Es ist einfach eine andere Entwicklungsrichtung. Ich kann keinen riesigen Vorteil erkennen, aber auch keinen Nachteil. Mit Ausnahme der Tatsache, dass auch die Gymnasiasten nur den mittleren Schulabschluss am Ende der Sekundarstufe I erhalten. Zudem ist es sicherlich sinnvoll, dass die Kinder und Jugendlichen mehr Raum haben, sich zu entwickeln. Was man kritisieren muss, ist der Zickzack-Kurs der Politik. Bevor man G8 wirklich bis zum Ende ausprobiert und wissenschaftlich evaluiert hat, gab es schon den Ritt zurück. Das war zu schnell aus meiner Sicht.

Bußmann-Dörnhoff: Wir hatten den Eindruck, dass die Schüler gut mit G8 klar kommen. Sie waren damit nicht überfordert. Ob die Entscheidung jetzt dazu führt, dass die Kinder und Jugendlichen mehr Freizeit haben, dass die Vereine mehr Leute zurückbekommen – das muss man abwarten. Ich glaube, dass es im Freizeitverhalten noch andere Dinge gibt, die Hobbys verhindern, wie zum Beispiel der Handykonsum oder PC-Spiele.

Schubert: Die Diskussion jetzt noch einmal aufzufrischen, ist nicht sinnvoll. Ich würde das wertneutral betrachten. Beides geht, aber jetzt ist die Vorgabe eben G9.

Hat sich mit der Umstellung etwas am Lehrplan geändert?

Schubert: Ja, es gibt neue und überarbeitete Kernlehrpläne. Die waren aber sowieso fällig, weil die Zeit seit der letzten Lehrplanerneuerung sich extrem verändert hat. Allein, wenn man sich die Digitalisierung anschaut, die Sprachbildung, die Frage der gendergerechten Sprache. Da gibt es viele Querfolien, die Schule verändern. Die Vorgabe des Landes war, nicht zurück zu G9, sondern G9 neu zu denken. Die Umstellung der Lehrpläne bremst Schule aber in gewisser Weise aus, weil es Ressourcen bindet und die sind begrenzt. Insofern ist das für unser System eine Mammutaufgabe, weil wir in beiden Systemen Veränderungen haben, was die Lehrpläne und was die Oberstufe angeht. Das sorgt für Unmut. Aber natürlich setzen wir das um.

Die Digitalisierung war zuletzt ein großes Thema. Wie hat sich das auf den Schulalltag ausgewirkt?

Bußmann-Dörnhoff: Wir nutzen seit zwei Jahren in der Oberstufe Ipads. In der jetzigen Einführungsstufe hat jeder Schüler ein Gerät, das in der Regel elternfinanziert ist. Aber wir stellen auch Leihgeräte zur Verfügung. Wir schulen die Kollegen, damit sie wissen, wie sie mit den Geräten arbeiten können. Auch die Schüler bekommen eine kleine Fortbildung. Wir unternehmen eine Kennenlernfahrt, die thematisch an das Digitale angebunden ist. Das klappt gut. Das Handschriftliche verlieren wir dabei nicht aus den Augen, damit die Schüler motorisch in der Lage sind, das Abitur zu schreiben. Mit den Ipads lassen sich interaktive Elemente gut zum analogen Unterricht ergänzen. Das merken wir in allen Fächern. Früher hatte man ein Plakat und der mit der schönsten Schrift hat gearbeitet, der Rest hat gewartet. Jetzt erstellen die Schüler eine Power-Point und teilen sich die Arbeit auf. Es entstehen kleine Erklärvideos, Podcasts, Comics – das digitale Lernen ist einfach vielfältiger.

Schubert: Allerdings werden wir nie vollständig digital werden. Die Digitalisierung bietet eine gute Erweiterungsmöglichkeit, aber ersetzt das Sprechen und Diskutieren nicht. Wir sind in einer guten Position, weil der Schulträger gut für uns sorgt. Im nächsten Schuljahr werden alle Oberstufenräume mit digitalen Tafeln ausgestattet sein.

Der erste G9-Jahrgang macht 2027 Abitur. Was bedeutet das für den Lehrerbedarf?

Schubert: Der steigt, denn es kommt jetzt ein Jahrgang am Gymnasium dazu. Der Lehrerbedarf orientiert sich an den Schülerzahlen und wenn ein Jahrgang dazukommt, heißt das natürlich, dass wir mehr Lehrer benötigen.

Sie bekommen viele neue Kollegen?

Schubert: Viele würde ich mir wünschen, das wird aber nicht passieren, weil die Schüler-Lehrer-Relation nicht so viel hergibt. Es kommt schon der eine oder andere dazu, aber es ist kein riesiger Zuwachs zu erwarten. Ein Jahrgang, das sind pro Klasse im Schnitt 30 Stunden, das macht dann ein bis zwei Lehrerstellen.

Wie sieht es mit dem Raumbedarf aus? Ist der nächste Anbau geplant?

Schubert: Da war die Gemeinde beim jüngsten Anbau sehr weitsichtig. Der sollte ursprünglich zwei Etagen bekommen. Als klar wurde, wir ein G9-Gymnasium werden, wurde die dritte Etage aufgesattelt. Das heißt nicht, dass wir zu viele Räume haben. Trotzdem ist das mitgedacht worden. Aktuell haben wir eine Entwicklung mit mehr Schülern und geflüchteten Kindern. Da müssen wir ganz schön zusammenrücken. Ein Neubau ist aber nicht in Sicht.

Am 1. Februar gibt es an der Verbundschule einen Orientierungstag für Seiteneinsteiger aus den Sekundar- und Realschulen. An diesem Tag werden die neuen Fächer vorgestellt, die Lehrkräfte und einige Oberstufenschüler stellen die Schule vor. Weitere Infos und Anmeldemöglichkeit gibt es demnächst unter www.verbundschule-hille.de. Weiterhin wird es am 24. Januar um 19 Uhr einen Info-Abend zur gymnasialen Oberstufe geben, zu dem alle interessierten Schüler und deren Eltern eingeladen sind.

Quelle: https://www.mt.de/lokales/hille/Eine-Mammutaufgabe-MT-Interview-zum-Wechsel-von-G8-zu-G9-an-der-Verbundschule-Hille-23443359.html

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